Im Rahmen der Forschungsarbeit konnte mit Dagie Brundert im November 2024 ein Interview geführt werden.
Der Auszug aus dem Interview soll zu der Forschungsarbeit beitragen und ein besseres Verständnis sowie einen persönlichen Einblick in die künstlerische Praxis von Dagie Brundert vermitteln.
Benjamin Ochse: Gibt es bei dir besondere Vorbilder für deine künstlerische Forschung und Filmarbeit, wie zum Beispiel Man Ray, Hans Richter, Max Ernst, Marcel Duchamp oder ähnliche Künstler – also Menschen, die früh mit Footage gearbeitet haben, wie zum Beispiel Jim Morrison, der ebenfalls mit Filmmaterial gearbeitet hat, oder Hollis Frampton, den ich hier noch erwähnen würde?
Dagie Brundert: Ich glaube, ich bin sehr naiv an die ganze Sache rangegangen, weil ich kunsthistorisch ein unbeschriebenes Blatt war. Ich hatte echt keine Ahnung. Im Nachhinein könnte ich vielleicht etwas dazu sagen, aber als ich angefangen habe, Filme zu machen, und sie einfach gemacht habe, hatte ich keinen Schimmer. Deswegen hatte ich auch keine Vorbilder. Jetzt kann ich vielleicht Vergleiche ziehen, aber die sind nicht bewusst entstanden.
Benjamin Ochse: Hast du experimentell mit kameralosen Filmen gearbeitet? Also mit Lichtstrahlen, Flüssigkeiten auf Rohfilm, mechanischer Bearbeitung vor oder nach der Belichtung, Solarisation, oder Lichteinfall nach der Entwicklung, aber vor der Fixierung?
Dagie Brundert: Also, Solarisation ist sehr schwierig. Habe ich mal probiert, ist aber in die Hose gegangen. Aber die anderen Sachen finde ich gerade dieses kameralose Arbeiten auch toll, wenn man Sachen auf den Filmstreifen drauflegt und kurz belichtet. Wie heißt das Fachwort dafür? Man Ray hat es erfunden, Sachen draufzulegen und Photogramme zu machen. Ich habe einmal Gummibärchen auf den Farbfilm gelegt und mit buntem Licht bestrahlt. Da konnte man etwas erkennen, da habe ich herumexperimentiert. Ich überlege gerade, ob es in irgendeinem Film gelandet ist. Ich glaube nicht. Das waren alles nur experimentelle Streifen. Jetzt, wo ich das sage, will ich das unbedingt weiterverfolgen. Oder so Glitzersternchen auf die Schicht gelegt und belichtet, die dann selber auch wieder abgestrahlt haben. Da gibt es so einen kleinen Sternenfilm, aber der ist nie in einen größeren Film eingegangen. Damit habe ich herumexperimentiert.
Ich habe noch so einen Zweig, eine Zweitliebe: meine Lochkamerafotografie, also objektivlose Stillfotografie. Das wollte ich auch mal mit einer Filmkassette machen. Ich hatte diese Filmkassette, bei der man immer ein Stückchen Film sieht, und dachte, ich kann dort direkt darauf belichten. Entweder schraubt man dann eine Art Objektiv davor, aber ich habe in einen kleinen, streichholzschachtelgroßen Kasten einfach ein Loch reingemacht und versucht, den Film weiterzudrehen. Dann wieder Finger runter, Finger drauf aufs Loch. Man trifft natürlich nie genau diesen Kader von Film und weiß überhaupt nicht, was da reinkommt. Ich habe damit ein paar Bilder geschafft, aber das ist wahnsinnig zeitaufwendig, weil man immer wieder irgendwo still sitzen muss. Ich saß damals an der Ostsee am Strand und habe damit einfach aufs Meer gehalten, wieder ein Stück gedreht, wieder zugehalten, und habe vielleicht so zehn Zentimeter geschafft. Man sieht nachher auch, dass sich dort irgendwas komisch bewegt. Das habe ich nicht weiterverfolgt, aber ich finde es nach wie vor faszinierend.
Genau so etwas, also wirklich extrem experimentell, ohne Kamera zu arbeiten, finde ich spannend. Ich meine, mit Super 8 ist man ja an die Geschwindigkeit gebunden. Die Kameras haben, wenn man Glück hat, manchmal nur 9 Bilder pro Sekunde. Normalerweise haben sie 18 oder 24 Bilder pro Sekunde. Man kann auch Einzelbildaufnahmen machen, aber dann ist man ebenfalls gebunden. Die Kamera macht dann für einen kurzen Moment auf und wieder zu. Es gibt eine Ausnahme: Manche Nizo-Kameras haben eine Automatik-B-Funktion. Dann macht sie einfach Klick. Man drückt drauf, und solange man drückt, bleibt die Blende offen und wird belichtet. Damit kann man Nachtaufnahmen machen.
Das kommt dem schon ganz nah, aber es läuft immer noch in der Kamera. Man hat dann wunderschöne Schlieren, wenn man sich bewegt, und kann so etwas wie Taschenlampenmalerei machen. Damit habe ich auch viel experimentiert, aber es ist immer noch an die Kamera gebunden. Das wollte ich auch noch mal machen, das habe ich noch nicht richtig gemacht: von der Kamera weggehen, also wirklich noch weiter weg davon. Da bin ich dabei – da ist noch viel zu tun!

Benjamin Ochse: Daran schließt sich gleich meine nächste Frage zum künstlerischen Risiko: Wie gehst du mit dem Risiko um, dass ein Film durch Überlagerung oder Bioentwicklung unbrauchbar wird?
Dagie Brundert: Es ist mir schon ein paar Mal passiert, dass ich den Film nur noch in die Tonne treten konnte, weil er zu alt war oder weil der Entwickler zu stark war. Einmal habe ich mich sogar vertan und einen Umkehrfilm negativ entwickelt, weil ich nicht wusste, dass der Fomapan-R-Film nur als Schwarzweiß-Positiv entwickelt werden kann, aber nicht als Negativ. Das geht nicht, weil er eine extra Silberschicht hat. Ich hatte einfach keine Ahnung von diesem Film. Ich habe gefilmt und nur Schwarz rausgekriegt. Ich wusste nicht, warum, also habe ich es noch mal versucht, toll entwickelt, und wieder nur Schwarz bekommen. Ich hab fast geweint, weil ich einfach nicht wusste, warum. Erst später habe ich es herausgefunden.
Das Risiko ist richtig hoch, aber ich kalkuliere das schon mit ein. Ich nehme manchmal die „Unfälle“ gerne mit in den Filmen auf, weil diese Zufälle oft sehr schön aussehen. Gerade wenn Teile des Films aneinander kleben, beim Entwickeln oder wenn der Film nicht genug Chemikalien abbekommt – dann siehst du das, und es passiert etwas Unerwartetes. Der Film läuft und läuft, und plötzlich geht es in so ein dunkles Flackern über, fast wie eine kleine Solarisation – für eine halbe Sekunde – und dann geht es weiter. Wunderschön. Das habe ich schon ein paar Mal erlebt, dass das dann komischerweise auch genau zur Geschichte passt.
Ich rechne auch immer damit, gerade wenn ich alte, abgelaufene Farbfilme benutze, insbesondere wenn es um Schwarzweiß geht. Schwarzweißfilme gab es früher nicht so viel; die meisten Amateure haben eher Farbfilme genutzt, die natürlich über die Jahrzehnte ihre Farbmoleküle verlieren. Da weiß ich schon, dass der Agfa-Film immer blau wird, manchmal mit etwas rosa, wenn ich Glück habe. Aber es ist auch schon ein paar Mal schiefgegangen, dass ich einfach überhaupt kein Bild mehr hatte. Nichts. Das gehört mit dazu.
Manchmal überlege ich, ob ich besonders wichtige Szenen, die nicht wiederholbar sind, nicht lieber mit Tri-X filme, weil ich weiß, dass der immer funktioniert. Ich denke gerade an meine Juni-Filme, wo ich jedes Jahr im Juni sehr viel filme. Dieses Jahr habe ich bei meinen Eltern gefilmt, die tauchen kurz im Junifilm auf. Mein Vater ist sehr krank, und ich dachte schon, ob er den nächsten Juni noch erleben wird – vielleicht nicht. Da habe ich einen Teil aufgenommen – ich wollte unbedingt mit einem uralten Farbfilm einfach nur meine beiden Eltern filmen, wie sie nebeneinander auf der Wiese im Garten stehen. Das ist ein tolles Bild. Zu wissen, dass es vielleicht das letzte Bild sein könnte. Und dann noch mit einem uralten Ektachrome, der höchstwahrscheinlich nur grün wird. Das habe ich dann noch zweimal aufgenommen, wirklich noch mit Tri-X und sogar ein drittes Mal mit einem Kodachrome. Ich glaube sogar, weil ich dachte, wenn das schiefgeht, wäre das sehr schade. Und es ist tatsächlich schiefgegangen: Der Ektachrome wurde knallgrün. Man sieht nur noch einen ganz leichten Schatten von irgendjemandem, aber wenn du es nicht weißt, siehst du da gar nichts. Da bin ich froh drum. Das Risiko kann ich einkalkulieren.
Andererseits sind auch schon sehr viele schöne Sachen entstanden, wie psychedelische Farben auf einem alten Farbfilm. Das weiß man nie im Voraus. Man weiß einfach nicht, wie die Filme gelagert wurden.

Benjamin Ochse: Wird durch eine Digitalisierung, Bearbeitung und spätere Projektion mit einem Beamer oder Monitor die originäre Materialität des Super-8-Films nicht beraubt und das Filmwerk somit entstellt?
Dagie Brundert: Das war mal, das war mal früher so. Früher, als ich noch Puristin war. Als die digitale Technik noch nicht so fortgeschritten war, war das so. Da hat es den Super-8-Film zermatscht. Aber das ist nicht mehr so. Wenn man den Film gut abtasten lässt, geht das Korn nicht verloren. Du siehst immer noch, dass es ein Film war. Das ist seit ungefähr 20 Jahren so, dass diese digitale Technik so weit fortgeschritten ist, dass es richtig, richtig gut aussieht. Man muss natürlich auch einen guten Beamer haben. Wenn du so einen billigen Projektor hast, dann knallt natürlich alles weg. Aber in den Kinos haben sie gute Geräte. Das sieht super aus. Du siehst jedes Korn, du siehst jeden Fussel und du siehst immer noch, dass es Super 8 ist. Deswegen bin ich eine Freundin der Digitalisierung, der digitalen Show. Natürlich geht es im Netz verloren: Wenn ich die Filme auf Vimeo oder YouTube habe, sind sie erst mal kleiner und werden auch irgendwie heruntergerechnet. Das ist dann für mich kein echtes Guck-Erlebnis, das ist dann nur zur Ansicht. Aber ja, ich habe mich mit dem Digitalen komplett angefreundet.
Ich manipuliere nachher nicht mehr viel, außer der Geschwindigkeit im Film. Es geht fast nichts verloren. Ich schaue mir den Super-8-Film mit dem Projektor an, wenn er fertig ist. Das ist immer etwas ganz Besonderes – wenn das Licht physikalisch durch den Film hindurch knallt, ist es immer noch etwas anderes, als wenn es eine Eins, eine Null und ein Pixel ist.
Das ist einfach unvergleichlich schön. Deswegen mache ich, wenn ich mal eine Werkschau habe – wo auch immer ich die mache – und einen guten Projektor zur Verfügung habe, immer halbe-halbe. Ich zeige die alten originalen Super-8-Filme und die zweite Hälfte digital. Das ist für mich die optimale Mischung. Dazu kommt noch die Komponente, dass man gerne ums „Lagerfeuer“ sitzt. In diesem Fall ist das Lagerfeuer der Projektor, der schön rattert, und er steht auch in der ffSaalmitte, weil er sonst zu weit entfernt wäre und das Bild viel zu dunkel würde. Das gefällt mir sehr gut.
© Benjamin Ochse, 2024

